Heidelberger Schlossgespraeche

Stefan Behnisch

Sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst vielen Dank für die freundliche Einladung. Es ist mir eine Freude und eine Ehre, hier zu Ihnen zu sprechen.

Kurz werde ich unsere Büros vorstellen und erläutern, woher wir kommen und wie wir arbeiten, um dann auf das eigentliche Thema des Vortrages einzugehen. Wir Architekten neigen zu Werkberichten, zeigen unsere Arbeiten, unabhängig vom vorgegebenen Thema. Völlig kann ich mich dieser archetypischen Handlungsweise nicht entziehen, möchte jedoch zumindest das eigentliche Thema mit unseren Bauten begleiten.

Unser Büro Behnisch Architekten entstand aus einem Zweigbüro von Behnisch & Partner. Nachdem ich mein Studium fast abgeschlossen hatte, bot mir mein Vater eine interessante Aufgabe in seinem Büro an: den Wettbewerb für die Bewerbung Istanbuls für die Olympischen Spiele. Ich fand Gefallen an der internationalen Arbeit, hatte ich doch für Behnisch & Partner einige Monate ein Zweigbüro in Istanbul betrieben. Nach meiner Rückkehr jedoch mussten wir, Vater und Sohn, feststellen, dass eine gemeinsame Arbeit nur an unterschiedlichen Orten möglich war. So half mir Günter Behnisch, mein eigenes Büro aufzubauen, zunächst als Zweigbüro, dann jedoch schnell als eigenständige Einheit, die völlig losgelöst und selbständig arbeitete, eigene Wettbewerbe machte und eigene Projekte unter neuem Namen bearbeitete.

Wir waren für längere Zeit Partner in den Büros, lediglich bei den dann gegründeten Auslandsbüros, aber auch an den Auslandsprojekten generell war Günter Behnisch nicht involviert. Oft waren die Verantwortlichkeiten nicht ganz so klar erkennbar, welches Projekt nun in welchem Büro bearbeitet wurde, zumal wir uns gegenseitig aushalfen. Heute noch wird das Museum Buchheim z.B. Behnisch & Partner zugeschrieben, obwohl es vollständig vom Wettbewerb bis zur Fertigstellung von Behnisch, Behnisch & Partner, heute Behnisch Architekten, bearbeitet wurde.

Das „Stadtbüro“ entwickelte sich schnell zu einem international arbeitenden, recht großen Architekturstudio. 1999 wurde ein Büro in Los Angeles eröffnet, 2006 folgte Boston und 2009 dann München. 2014 wurde das Büro in Los Angeles geschlossen. Die Entfernung, die Zeitverschiebung, aber auch die deutlich andere Kultur machten es schwierig, hier noch weiter inhaltlich zu arbeiten. Boston liegt uns nicht nur geographisch und zeitlich, sondern auch kulturell viel näher.
Wir arbeiten an den Projekten in Gruppen. Die Verantwortlichen sind vom Anfang bis Fertigstellung involviert. Wir, die Partner, neben mir noch Robert Matthew Noblett für Boston, Robert Hösle für München und Stefan Rappold für Stuttgart, sind verantwortlich für den wirtschaftlichen Erfolg. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass eine Atmosphäre im Büro besteht, die innovative Arbeit mit eigener Verantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördert. Wir Partner verstehen unsere Aufgabe nicht dahingehend, Lösungen vorzugeben, sondern es ist unsere Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass Lösungen entstehen und sich entwickeln können, die getragen sind von einer gemeinsamen gedanklichen Basis und Überzeugungen, die alle Büros vereinen.

Andere Architekten werden sicherlich anders arbeiten. Es gibt die Büros, die ihre Architektur einer vorgegebenen formalen Linie unterordnen. Sie folgen wahrscheinlich der Biografie einer bestimmenden Person oder anderen Umständen, die zum Weg des individuell geprägten formalen Diktats führen. Dieses Diktat fehlt bei uns. Ich habe - beeinflusst wiederum durch meine Biografie - ein solches Diktat nie vorgegeben und auch bei anderen verweigert. Ich war immer eher am Neuen, am Inhaltlichen, am Experiment orientiert denn an formalen Richtungsvorgaben. Die sichere Spur der Corporate Identity, nicht nur in der Wirtschaft, sondern insbesondere auch in Kunst und Architektur war mir schon immer suspekt. Hier fand ich die Entwicklung, die Brüche und auch die Suche nach neuen Lösungen immer spannender.

Wir mussten feststellen, dass es nicht jedem gegeben ist, eine solche Art der Zurückhaltung durchzustehen. Partner versuchten in der Vergangenheit, dem Büro einen von ihnen geprägten formalen Stempel aufzudrücken. Diese Ansätze führten dann zwangsläufig zu einem Wechsel in der Partnerschaft. Wenn wir Architektur im Büro entwickeln wollen, eben ohne das formale Diktat, kann die gemeinsame Grundlage doch nur eine Inhaltliche sein.
Das Thema soll sich ja mit der Arbeit von uns Architekten, insbesondere unserer Arbeit als Büro im Ausland auseinandersetzen. Oft wird, so meine ich, fälschlicherweise über Architekturexport gesprochen. Es gibt sogar große Veranstaltungen der Architektenkammer, eigene Gremien des Bundes und der Berufsverbände unter diesem Sammelbegriff. Es ist ein scheinbar griffiger Ausdruck, der jedoch an meiner Auffassung völlig vorbeizielt. Der Begriff Export wird in der deutschen Sprache vielfältig angewendet, und oft falsch. Zum einen bezeichnet er in der Volkswirtschaftslehre die Lieferung von Gütern ins Ausland, d.h. den grenzüberschreitenden Güterverkehr, zum anderen kennzeichnet er in der Betriebswirtschaftslehre völlig anders orientiert die einfachste Internationalisierungsform oder /-stufe eines produzierenden Unternehmens. Das Unternehmen ist im Heimatland ansässig, exportiert jedoch Güter grenzüberschreitend.

Im weitesten Sinne bedeutet der Begriff Export grenzüberschreitende Verlagerungs- oder Ausbreitungsvorgänge. Das mag etwas abstrakt klingen, aber greifen wir uns einmal ein fast holzschnittartiges Beispiel heraus - Che Guevara. Er betrieb Export von politischen Leistungen, Ideologien und in der Folge von Revolutionen. Das sind Verlagerungs- oder Ausbreitungsvorgänge. Auch in der Wirtschaft gibt es die vollständige Verlagerung produzierender Zweige ins Ausland, da dort günstigere Produktionsbedingungen vorhanden sind. Auch dies ist eine Art Exportleistung, bei der sich komplette Unternehmensstrukturen und -standorte verlagern - bis hin zur Selbstaufgabe im Ursprungsland.

Betrachten wir diese drei Felder so stellen wir fest, dass wir zum einen keine Güter, ja nicht einmal eine Dienstleistung exportieren, sondern eher Erfahrung, Wissen, Kultur, Tradition. Denn die Leistung erbringen wir teilweise je nach „Erfüllungsort“ auch vollständig hier in unserem Lande. Rein juristisch gesehen ist damit zwar der Erfüllungsort der Ort der Baustelle, jedoch ist der Leistungsort bei uns. Und es kommen ausschließlich z.B. meine persönliche Erfahrung oder Erfahrungssynergien zwischen unseren verschiedenen Büros zum Tragen. Es ist also weder eine Exportleistung im volkswirtschaftlichen noch eine im betriebswirtschaftlichen Sinn. Insofern wenden wir uns der diffuseren, allgemeinen und weiter gefassten Bedeutung des Begriffs zu.

Dass es sich dabei um Ausbreitungsvorgänge handelt, um ein politisches oder besser noch kulturelles Phänomen, scheint eher wahrscheinlich. Und auf dieser Basis würde ich den Begriff des Architekturexportes verstehen wollen, auch wenn er mir per se nicht sonderlich gut gefällt: Nicht als Export einer Ware oder eines „Designs“, sondern als Transfer einer ideellen Leistung, die am Bestimmungsort zwangsläufig zu Veränderungen führen muss, im positiven wie auch oft im negativen Sinne. Und folgen wir diesen Gedanken, so stellen wir sehr schnell fest, dass mit dieser Leistung eine Verantwortung einhergeht, dass wir eingreifen in andere Systeme, in andere natürliche, aber auch vor allem gesellschaftliche Ökologien. Wir werden Teil des globalen wirtschaftlichen Wirkens mit der damit verbundenen Verantwortung.

Es wird zurzeit anlässlich der Stadien für die Fußball WM in Katar eine teilweise gute, oft jedoch auch einfältige und diffuse Debatte geführt um die Frage, inwieweit Architekten Mitverantwortung für die Taten ihrer Bauherren tragen bzw. inwieweit sie über die Wirkung, Nutzung und gesellschaftliche Bedeutung ihrer Werke überhaupt nachdenken. Eine erstaunliche, oft abstoßende Scheinheiligkeit oder auch Gleichgültigkeit bis hin zum unangenehmen Zynismus scheint erkennbar.

Letztendlich dienen unsere Gebäude unseren Auftraggebern, in welchem Sinne auch immer, denn dazu wurden sie bestellt. Die Kunden haben die Macht der freien Handlung über unsere Werke und ihr Eigentum, und wir als Architekten stehen mit unserem Namen gerne für den Erfolg unserer Gebäude. Wenn es jedoch schief läuft, unsere Gebäude missbraucht werden, sollten wir uns, zumindest wenn es absehbar war, mitverantwortlich fühlen. Wenn ich ein Stadion für ein politisch absolutistisches oder diktatorisch geführtes Land baue, muss ich mich nicht wundern, wenn mein Gebäude im besten Fall der Propaganda, im schlimmsten Fall aber menschenverachtenden Handlungen dient. Ich erinnere hier an die Zeit des Sturzes von Salvador Allende und den Putsch durch Pinochet mit westlicher Hilfe, auch wenn beim Bau des dortigen Stadions zumindest für eine kurze Zeit nicht absehbar war, wie es benutzt werden würde. Bruno Heck, Generalsekretär der CDU, bemerkte nach seiner Rückkehr aus Chile am 18.10.1973: "Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm."
Aber in anderen Fällen ist es absehbar. So ist in einigen Ländern z.B. der arabischen Welt die Situation der Frauen, der Minderheiten, der Andersgläubigen für jeden halbwegs intelligenten Menschen erkennbar und somit auch für das eigene Handeln von Konsequenz. Insofern müssten wir überlegen, für wen und mit wem wir bauen möchten. Wir hatten schon vor dem Krieg Anfragen, ein Stadion für den Irak zu planen. Das lief unter dem Programm „Oil for Food“. Absurd, auf so etwas muss man erst einmal kommen. Aus naheliegenden Gründen haben wir freundlich und bestimmt abgesagt.

Es wurde einmal geschrieben, Behnisch baue nicht für Diktatoren. An sich sollte dies selbstredend sein, ist jedoch viel zu kurz gefasst. Eine ausführlich und differenziert geführte Debatte wurde natürlich in einer Schlagzeile zusammengefasst. Die Fragestellung ist komplexer. Tatsächlich sind wir und unsere Arbeit so angelegt, dass sowohl wir als auch unsere Häuser nur in offenen Gesellschaften funktionieren können. Wir haben dies intern im Büro breit diskutiert und, so meine ich, einen Konsens gefunden, den wir gegebenenfalls justieren müssen, wenn neue Situationen sich auftun.

Wir haben versucht in einigen Ländern unterschiedlichster Couleur zu arbeiten. Generell geht es natürlich weniger um das Land als um den Bauherren oder die Aufgabe. Denn tatsächlich kann man auch in einer nicht offenen Gesellschaft mit der entsprechenden Aufgabe für einen bestimmten Bauherrn etwas bewirken. Und auch darum geht es, dass ein jeder oder eine jede aus unserem Büro gleichgültig welcher Hautfarbe, Religion, welchen Geschlechtes oder welcher sexuellen Orientierung an jedem Projekt und somit für jeden Bauherren arbeiten kann.

Schon hier, mit diesem Ziel, haben wir einen Großteil unserer Welt von der Auftragsliste genommen. Nun ist das natürlich eine Frage, die ein jeder für sich beantworten muss. Es ist nicht unsere Kompetenz, moralische Kompasse zu kalibrieren. Jedoch empfinde ich persönlich es als inakzeptabel, wenn Architekten sich als reine Dienstleister verstehen, ohne moralische oder politische Verantwortung für die kulturellen Güter, die auf ihr Geheiß geschaffen werden. Insofern müssen die Sotschi-, die Katar- und auch die Peking-Debatten geführt werden, durchaus ergebnisoffen, aber auch ohne Polemik. Und das ist keine Frage der sogenannten „Political Correctness“ alleine, sondern der Ansprüche, die ein jeder oder eine jede an sich stellen mag. Übrigens verstehe ich bis heute nicht, was an einem politisch korrekten Verhalten falsch sein mag.

Ich persönlich aber auch unser Büro können tatsächlich nur dort etwas bewirken, nur dort arbeiten, wo wir die Menschen, ihre Kultur, ihre Freuden, ihre Nöte aber auch ihren Humor verstehen. Und so habe ich persönlich für mich die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada aber auch die Schweiz, Österreich, generell Europa in Form der Union als Arbeitsumfeld entdeckt. Das kulturelle Umfeld ist da, was entscheidend für eine erfolgreiche Architektur unseres Büros ist. Können wir an irgendetwas ansetzen, es ausweiten, verfeinern oder auch überhöhen? Mir scheinen die Zeiten vorbei, in denen Architektur bezugsfrei in ähnlicher oder identischer Erscheinung überall auf dieser Erde schlicht “eingesetzt“ werden kann, ohne Anknüpfung an vorhandene Kulturen, Strukturen, Topografien, gesellschaftliche Verhältnisse oder klimatische Bedingungen. Ich möchte mich nun mit einigen Bespiele, die wir in den Niederlanden, Großbritannien, der Schweiz, Frankreich, den USA und Kanada planen, geplant oder umgesetzt haben, auseinandersetzen.

Ein weiterer Aspekt sind die Verfahren vor Ort, die Art und Weise wie man baut und plant. Oft sind die Architekten reine Entwurfsdienstleister, die in dem eigentlichen Umsetzungsprozess ihrer Planung nur noch eine geringe, oder oft gar keine Rolle mehr spielen. Dies führt in der Regel zu recht plakativen Entwürfen, mit wenigen oder keinen Details. Zwangsläufig muss in diesem Falle der Entwurf fast holzschnittartig überhöht werden, um den Prozess zu überstehen.

Da wir aus der deutschsprachigen Tradition des klassischen Architekten kommen, können wir auch in diesen Verfahren nur schwer arbeiten. Wir müssen, um unsere Art der Architektur umsetzen zu können, die gesamte Architektenleistung entweder selber erbringen oder zumindest kontrollieren können. Dies hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass wir uns auch auf Länder konzentrieren, in denen wir lizenziert sind als Architekten zu arbeiten, in denen wir die Hauptauftragnehmer sein können und uns gegebenenfalls mit Partnern vor Ort für Bauleitung etc. zusammentun.

Aber wir bevorzugen eine eigenverantwortliche, eigenständige Arbeit ohne örtliche Partner.