Integrated Planning for Industrial Building 4.0

Stefan Behnisch

Sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst vielen Dank für die Einladung und dass ich hier sein darf. Ich habe versucht etwas vorzubereiten, das im Rahmen dieses Themas hoffentlich interessant sein könnte, möchte jedoch darauf hinweisen, dass ich kein Industriebauer bin. Aber ich habe versucht, mich zu konzentrieren auf institutionelle Bauten, auf Universitätsbauten, da man hier auch ähnliche Themen herausarbeiten kann.

Was informiert unsere Architektur, was sind die relevanten Aspekte?
Das letzte Jahrhundert war ein Jahrhundert der Ideologien. Es war ein Jahrhundert der politischen, aber auch der künstlerischen, der technischen und der architektonischen Ideologien – wenn wir z.B. an die Charta von Athen, an CIAM oder an das Bauhaus denken. Diese waren starke Strömungen, die einen großen ideologischen und theoretischen Überbau hatten. Ganz wichtig auch in der Politik, hier hatten wir den Kommunismus, den Sozialismus, den Nationalsozialismus, die Neokonservativen, den Kapitalismus, eben jene Ideologien, die das letzte Jahrhundert durcheinander geworfen haben. Auch in der Kunst hatten diese programmatischen Strömungen großen Einfluss. Sie haben die Architektur weiter gebracht, die Kunst stärker und schneller gewandelt als jemals alles zuvor Dagewesene. Das hat aber natürlich auch zu Fehlentwicklungen geführt, Fehlentwicklungen in der Architektur z.B., die nur möglich waren, weil wir eben diese Missstände durch ein Übermaß an billiger Energie kompensieren konnten. Wenn wir da z.B. an den internationalen Stil denken, dem doch die menschliche Hybris eigen war, wenn wir meinten, wir könnten alles überall auf dieser Erde in der gleichen Art und Weise bauen, ohne den kulturellen, klimatischen, topographischen oder sonstigen spezifischen Hintergrund berücksichtigen zu müssen. Wenn wir an die Glastürme denken, die in Chicago stehen, und jene in Dubai, die gleichen dann in Manila, wiederum gleiche in Tokio und so weiter. Und nirgendwo funktionieren sie so richtig. Sie waren ursprünglich in einer architektonisch-programmatischen Ideologie entwickelt worden für Zentraleuropa oder Nordamerika, für ein gemäßigtes Klima.

Also müssen wir wieder lernen, in der Architektur den kulturellen Kontext, den städtischen, den klimatischen, den topographischen etc. zu berücksichtigen. Und wenn wir über eine nachhaltige Architektur sprechen, sprechen wir in Zentraleuropa, vor allem im deutschsprachigen Raum, ausschließlich über die quantitativen Aspekte, wir beschränken uns auf das Energetische, ausschließlich. Tatsächlich jedoch müssen wir über den Städtebau, den öffentlichen Raum, die Infrastruktur nachdenken, unsere Gebäude stehen nie isoliert. Wir müssen über die Topographie nachdenken, über urbane oder kleinstädtische Kultur. Dieses müssen wir berücksichtigen, denn fast alle Menschen, die unserer Architektur ausgesetzt sind, werden diese Gebäude niemals betreten, sondern diese Gebäude bilden immer die Wand, den Hintergrund ihres Lebensraumes.

Dann müssen wir die Architektur als kulturelles Artefakt wieder entdecken, und nicht als Investment, wie wir sie z. Zt. gerne sehen. Die Architektur ist wahrscheinlich das prominenteste kulturelle Artefakt der Menschheit. Versuchen Sie sich in eine Stadt zu versetzen, die Sie kennen oder die Sie kennenlernen wollen. Architektur definiert uns Ort und Zeit. Denken Sie an Rom, denken Sie an Istanbul, an Paris, an New York, an Chicago – vor Ihrem inneren Auge sehen Sie immer Architektur, und zwar primär im öffentlichen Raum. In Paris vielleicht den Eiffelturm, das Einzelgebäude, aber an sich den öffentlichen Raum. Also haben wir Architekten auch eine große kulturelle Verantwortung.

Ein weiterer Aspekt ist der der materiellen Verantwortung. Wie gehen wir mit Material um, welche Materialien benützen wir, wie betrachten wir die Weiternutzung dieser Materialien, z.B. bei der Renovierung, Sanierung, Re-Use? Weiterhin, wie gehen wir mit der Natur um, wie kommuniziert unser Gebäude mit der künstlichen, wie mit der natürlichen Natur, mit der von uns geschaffenen Natur?

Und erst jetzt bei den letzten Aspekten, die hier dargestellt sind - Luft, Klima, Komfort, (Tageslicht und Kunstlicht) – betrachten wir jene drei Aspekte der Nachhaltigkeit, die im deutschsprachigen Raum im Zentrum der Betrachtung stehen. Und alle anderen bisher betrachteten Aspekte ignorieren wir. Und ich meine, diese Aspekte bekommen mehr und mehr Wert in der Betrachtung, und beeinflussen heute letztendlich unsere Architektur mehr als die rein energetischen.

Dies ist ein Versuch zu schildern, was uns antreibt, was uns umtreibt, was unsere Architektur informiert und welche Aspekte, welche Parameter sie bestimmen.
Nun lassen Sie mich zum eigentlichen Thema kommen, zum Thema, was institutionelle Bauherren bewegt, sich überhaupt mit Architektur auseinander zu setzen. Lange haben sie es nicht getan, bis auf wenige Ikonen. Eine Zeitlang dachte jede bessere US-Universität, wir schaffen uns ein, zwei Ikonen an und wir sind okay. Und diese Ikonen haben sie dann leider nicht geliebt, denn sie konnten nie recht begreifen, dass Funktion und Architektur keine Widersprüche sein müssen.

Amherst College Science Centre
Ich möchte beginnen mit Amherst College. Amherst College ist auf dem Land, in Massachusetts, im Nirgendwo. Das nächste wirklich Aufregende in der Gegend von Amherst ist Tanglewood, darüber hinaus gibt es nicht viel. Viele Pferde, viele Kühe. Amherst ist eines dieser Colleges, die man wahrscheinlich aus den Filmen kennt: weiße Zäune, grüne Wiesen, grüne Bäume, kleine weiße Häuschen. Amherst College kam zu uns, es war ein Wettbewerb, sie hatten in der Vergangenheit immer mit den gleichen Architekten gebaut. Sehr langweilige Häuser. Sie hatten aber das Problem, dass plötzlich in diesem kleinen College durch die Entwicklungen der letzten Zeit Aufgaben entstanden, die den Maßstab des bisher Bekannten sprengen. Wenn Sie ein naturwissenschaftliches Gebäude bauen wollen, ob für Life Sciences oder für Engineering, eben ein Forschungs- und Lehrgebäude, entwickeln Sie heute zwangsläufig einen Maßstab, der mit weißen Zäunen in Holz oder Ziegelbuden nicht mehr so richtig zu stemmen ist. Und so hatten wir Amherst schon damals im Wettbewerb erläutert, das Thema sei nicht ein materielles, sondern eines des Maßstabes.

Und sie kamen auch zu uns als sie erkannt hatten, dass sie ein Gebäude brauchen, das – wenn die Eltern die Schule besichtigten – eine zeitgemäße Lehre demonstriert. Zu meiner Studienzeit hatten die Eltern an den Unis überhaupt nichts verloren. Ich wäre im Boden versunken, wenn meine Eltern aufgetaucht wären. Heute kommen die Eltern mit ihren Kindern an die Hochschulen und prüfen die Hochschulen durch. Sie besuchen oft 20 Hochschulen, und da wird es entscheidend, wie sie dort empfangen werden und wie die Hochschule auch mit Gebäuden, mit der Einrichtung, mit der Ausstattung in Erscheinung tritt.

Amherst brauchte ein Gebäude, in das man hineingeht und das Gefühl gewinnt: „Hier will ich studieren!“ „Hier will ich sein!“. Denn Amherst College verlangt auch fast 50.000 Dollar Studiengebühr im Jahr. Man braucht also einen guten Grund, soviel Geld in die Hand zu nehmen. Wir haben viele Studien gemacht für das Grundstück, zunächst, um einen Standort zu finden. Viele Alternativkonzepte wurden gefertigt. Das ging so tatsächlich ca. 8 Monate, nur Studien, eine jede wurde ad Infinitum mit den Trustees diskutiert, und wir nahmen an, sie wollten etwas Pragmatisches. Die Trustees waren damals sehr weitblickend, haben erstaunlicher Weise immer das auf den ersten Blick Unwahrscheinlichste gesucht und gebeten, weiter daran zu arbeiten.

Und letztendlich sind wir in diese Richtung gegangen, weil sie erkannt hatten, dass das Gebäude nur bestehen kann in seinem Maßstab, wenn es sich mit der Landschaft vereint, wenn das Gebäude zur Landschaft wird, denn das bestimmende Element in Amherst ist die Landschaft, die Endmoränen-Hügel. Nur wenn dies gelingt, kann das Gebäude Erfolg haben. Eine Komplikation war, dass das momentane Science-Gebäude im ersten Bauabschnitt erhalten werden musste. So planten wir knapp daneben 70% des Gebäudes im ersten Bauabschnitt zu realisieren, dann umzuziehen, das Alte abzubrechen um dann den Rest zu ergänzen. Das war die Planung. Es entstand ein Bau im Hang. Wir hatten 15 Meter Hanggefälle, oben ist das Green, der Uni-Campus, unten sind die Sportanlagen, und mit dem Gebäude sollte der Hang überwunden werden.

Das Dach sollte eben nicht wie üblich bei Laborgebäuden eine Maschine werden, denn hier konnte man immer draufsehen. Es entstand eine Dachlandschaft, in der die ganze Technik versteckt war. Sie sehen einen Terrassenbau, der Teil der Landschaft werden sollte. Er hatte auf jeder Ebene aus einer anderen landschaftlichen Richtung einen Zugang und ein schönes Atrium in der Mitte. Wir hatten über Verschattung, Tageslicht nachgedacht, mit je nach Himmelsrichtung unterschiedlichen Dachüberständen, um die natürliche Verschattung für das Gebäude zu schaffen. Und dadurch entstand diese weiche Form. Labors im Inneren sollten mit einer Glaswand zur Halle hin geöffnet erscheinen. Das Gebäude hatte dann ein recht trauriges Schicksal. Wir hatten die Pfähle schon gebohrt, die Baustelle schon eingerichtet. Dann wechselte der College-Präsident und mit ihm einige der Trustees. Der neuen Präsidentin schien das alles zu extravagant, sie hatte wenig Weitblick. Man ging zurück zu den alten Architekten und lässt sich eine große, noch teurere Schuhschachtel bauen.

Dieses Amherst Science Gebäude war einer jener unserer Entwürfe, den man gerne gebaut hätte, weil es eine völlig neue Art eines Labor-Gebäudes gewesen wäre, das eben anderen Gesetzmäßigkeiten folgt und nicht nur den rationalen der Technik, sondern landschaftlichen und denen einer zukunftsorientierten Hochschule. Jedoch, das kennt jeder von uns, gibt es im Laufe eines beruflichen Lebens ja immer wieder Gebäude, die man verliert, die man nicht bauen kann, die man weit geplant hat. Bei uns ist die Zahl relativ hoch, weil wir immer ein gewisses Risiko eingehen, keine risikofreien Entwürfe machen.

John and Frances Angelos Law School Baltimore
Jetzt komme ich zu einem Bau den wir realisiert haben. Ein völlig anderer Ansatz: die University of Baltimore School of Law, eine öffentliche Universität. 70% der Studenten kommen aus sozial schwachen Verhältnissen. Die University of Baltimore hat sich aus einer Abendschule entwickelt. Sie hatten einen Wettbewerb ausgelobt. Es gab einen Mäzen in der Gegend von Baltimore, der die Kosten für Wettbewerbe übernimmt. In Amerika sind Wettbewerbe nicht üblich, sondern nur so genannte „Beauty-Contests“, unseren VOF Verfahren nicht unähnlich. Ein Architekten-Wettbewerb, ca. 80 eingeladene Bewerber, nach einer Vorauswahl und Interviews auf 6 reduziert. Erstaunlicherweise gab es eine große internationale Resonanz. Es waren im Wettbewerb dann Foster & Partner, Dominique Perrault, Moshe Safdie, die SmithGroup und wir vertreten. Die Wettbewerbe sind nicht anonym, sondern man muss präsentieren. Es wird weniger ein Ergebnis gesucht, kein fertiger Entwurf, sondern ein Architekt, dessen Herangehens-/ und Arbeitsweise dem Auslober liegt. Sie suchen also jemanden, mit dessen Arbeitsweise sie sich identifizieren können, oder die sie interessant finden, oder der ihnen auch etwas Überraschendes bringt. Der Präsident der Universität, Bogomolny, ein sehr guter Mann, 75jährig, war ein sehr starker Bauherr. Es ist eine öffentlich geförderte Schule, und er musste 20 Millionen an Spenden eintreiben. Er wollte ein ganz nachhaltiges Gebäude haben, geringe Energie und Energieverbrauch. Er hatte erkannt, dass ein solches Gebäude einen hohen Stellenwert hat und Spender motivieren kann. Und es war auch so.

Er hat immer wieder besondere Themen gefordert, für die er Spenden bekommen konnte. Interessanterweise hat er es nur mir verraten, ich war der einzige, der wusste, dass das Gebäude finanziell gedeckt war. Die öffentlichen Geldgeber wussten das nicht, denn ansonsten hätten sie ihm das Budget gestrichen. Am Schluss hatte er das Geld zur Verfügung. Ein sehr guter Bauherr, der die Bedeutung eines Gebäudes für so eine Hochschule erkannt hatte. Dadurch, dass wir jetzt große Klassenzimmer, große Vortragssäle in den oberen Geschossen hatten und nicht unten, mussten wir viele Menschen bewegen in dem Gebäude. Deshalb haben wir in der Mitte einen ‚Schulhof‘ angeordnet. Hier ist die Student-Lounge, wo die Menschen sich treffen können. Es entsteht natürlich ein interessanter Schnitt, durch die unterschiedlichen Geschosshöhen.

Sie sehen an diesem Beispiel, dass bei Gebäuden, bei denen versucht wurde wirtschaftlich mit der Energie auszukommen und die auch nachhaltig sind, die Anzahl der Gewerke immer geringer wird. Es werden weniger unterschiedliche Materialien verarbeitet. Aber die wenigen verschiedenen Gewerke, die bestehen bleiben werden immer anspruchsvoller und intelligenter. Die Fassade leistet viel mehr als früher. Sie hat aktive Be- und Entlüftungskomponenten, sie hat einen Sonnenschutz, sie hat viele aktive und passive Komponenten. Der Rohbau beherbergt die Bauteilaktivierungen, also Kühlung, Heizung und auch die Leitungsführung für die Elektrik. Es werden komplexe, und „intelligente“ Gewerke. Und dieses Gebäude für die University of Balitmore hat eine Komplexität, aber auch eine Funktionalität mit dem Ziel eines reduzierten Energieverbrauches, die ich nie zu diesem Zeitpunkt in Amerika erwartet hätte umsetzen zu können. Da hätten wir große Probleme in Deutschland, einen Bauherrn zu überzeugen soweit mitzugehen, wie dieser Präsident einer amerikanischen Universität gegangen ist.

Und Sie erkennen, plötzlich wird die Farbe sehr wichtig. Sie haben wenige, unterschiedliche Materialen, Sie haben wenige, unterschiedliche Aspekte. So werden Materialeinsatz und Farbe ganz entscheidend. Und wir hatten hier das Glück, die Beleuchtung, den Innenausbau und die Möbel mit Firmen entwickeln zu können. Und was Sie hier sehen in der Mitte ist die „Donor Column“, also die Stifter-Säule. Normalerweise ist das eine Wand in Amerika, da steht links der Platin-Stifter, der Gold-Stifter, der Silber-Stifter, Bronze-Stifter und dann die armen Schlucker, die nur eine halbe Million spenden konnten. Hier bei diesem Gebäude haben wir in der Mitte eine große Stütze bearbeitet, und dort sind die Namen der Stifter mit Corian-Buchstaben aufgeklebt. Zur Eröffnung gab es ein Heftchen zum Auffalten, und alle Stifter konnten ihren Namen auf dieser Säule suchen. Dieses Gebäude hat Fensterlüftung und Rohbauaktivierung, informelle Arbeitsplätze in den Hallen und im Hintergrund sehen Sie nun die Bibliothek. Tatsächlich wird dieses Atrium angenommen zum Arbeiten, dort bilden sich die Arbeitsgruppen. Es ist ein lebendiger Raum geworden.

Nun ganz kurz zum Klimakonzept, das wollte ich noch erläutern, weil das tatsächlich für amerikanische Verhältnisse sehr weit fortgeschritten ist. Das Atrium im Zentrum dient dem Luftrückfluss, die Luft strömt über die Fenster in den Sommermonaten nach und arbeitet mechanisch, wenn es zu heiß oder zu kalt ist. Im Frühjahr und Herbst nehmen wir Außenluft, ansonsten ist es zu feucht, dann haben wir mechanisch aufbereitete Zuluft. Die Abluft wird über das Atrium geführt und wird oben über Wärmetauscher ausgeblasen. Und hier sehen Sie die Komplexität des Betongebäudes. Durch die Schläuche wird warmes oder kaltes Wasser gepumpt, es ist die Elektrik drin verlegt. Alles ist in diesem Rohbau. Es ist nicht ganz einfach, dies den Rohbau-Firmen zu vermitteln. Plötzlich wird der Rohbau zu einem hochtechnischen und komplexen Gewerk. Und die Rohbauer sind per se erst einmal nicht berühmt dafür, sehr technophil zu sein. Sie gießen Beton und wollen ihre Ruhe haben.

Eine kurze Geschichte am Rande: wenn man in den Vereinigten Staaten baut, dies gilt wahrscheinlich für allen fremde Länder, muss man sich natürlich auf die örtlichen Gegebenheiten einstellen und einlassen. Andererseits darf man sich nicht zu sehr darauf einlassen, denn die holen einen ja, weil man eben nicht von dort ist. Man muss den Mittelweg finden. Im Staat Maryland gibt es eine Regel, dass alle öffentlichen Bauten mindestens 10% ihrer Möbel aus dem Gefängnissystem beziehen müssen. Das heißt, in Gefängnissen werden Möbel gefertigt, und diese müssen bei den öffentlichen Bauten verwendet werden. Und die Möbel sind grauenhaft. Wir haben uns mit den verantwortlichen Leuten getroffen, haben versucht sie zu überzeugen, dass wir für sie gute Möbel designen sollten. Die haben uns freundlich darauf hingewiesen, dass sie keine Möbel bauen, sondern eher nur umpacken und einen Aufschlag berechnen. Woraufhin wir eine Firma überzeugen konnten, nämlich VS aus Tauberbischofsheim, einen Deal mit dem Gefängnissystem zu machen, und die vertrieben plötzlich Möbel über das Gefängnissystem. In allen Ländern gibt es solche skurrile, unterschiedliche Wege und hier ist es nur mal dieser Weg. Wir fanden es im Nachhinein ganz lustig, aber es war ein langer mühsamer Weg. Zur Einweihung, und das ist auch ein ganz wichtiger Aspekt für die Konkurrenzfähigkeit, da doch einige aus dem Regierungslager der Demokraten von dieser Hochschule kommen, kam der Vizepräsident um das Gebäude zu eröffnen. Er ist gerne gekommen, da das Gebäude bekannt ist und für etwas Inhaltliches steht, nämlich für Nachhaltigkeit.

Terrence Donnelly Centre for Cellular and Biomolecular Research Toronto
Jetzt komme ich zu einer ganz anderen Hochschule, der University of Toronto. Auch dieses Haus hat eine ganz eigene Geschichte. Dieses Projekt haben wir mit einem Partnerbüro Architects Alliance aus Toronto geplant. Es wurde nicht von der Universität initiiert, sondern von zwei Wissenschaftlern, James Friesen und Cecil Yip, die eigentlich schon längst hätten in Rente sein sollen und die nie ihr eigenes Haus bekommen hatten. Sie haben dann einen Stifter gefunden, Terrence J. Donnelly, und er hat große Teile des Hauses bezahlt. Die Universität fand dies nicht so wünschenswert und hat uns das absolut unmöglichste Grundstück gegeben, nämlich einen Lieferhof irgendwo eingeklemmt zwischen existierenden Gebäuden. Wir konnten die Bauherren überzeugen, dass wir das Zugangskonzept umdrehen. Dass das, was vorher der Müllhof war, nun Zugang der Universität ist. Wir schafften einen schönen Vorplatz, wir machten das Gebäude schmal und hoch, drückten es an ein existierendes Gebäude dran, schafften ein schönes Atrium und auch oben schöne Verbindungen.

Um es technisch hoch flexibel zu halten, ordneten wir oben, in der Mitte und im Keller Technik an. So entstanden kurze Installationswege. Wir waren damals der Meinung, und der bin ich heute noch, wir können es uns an den Hochschulen nicht mehr leisten, Gebäude zu bauen, die nur einem Zwecke dienen. Als ich studiert habe, war Informatik, E-Technik, „all the rave“, das war das Tollste, ein paar Jahre später war es Betriebswirtschaft, dann kamen die Life Sciences, Bio-Technologie, alles hochspezialisierte Gebäude. Jetzt ist gerade Engineering en vouge, und zwar als eigentlich eine Hybrid-Wissenschaft zwischen Bio Engineering, Mechanical Engineering und Electrical Engineering. Es entstehen neue hochkomplexe Gebäude für diese neuen Aspekte des Engineering. Also müssen wir doch Gebäude bauen, die wir relativ leicht anpassen können, an die sich immer verändernden Ansprüche, die an Universitäten gestellt werden. Es gibt viele neue Studiengänge, die gab es nicht, als ich studiert habe. Wir gehen heute davon aus, dass es in 15 Jahren wahrscheinlich unendlich mehr Berufe gibt als heute, die wir heute noch nicht mal kennen. Und wir müssen dann irgendwann die Menschen dazu ausbilden. Also haben wir das Gebäude für die unterschiedlichsten Funktionen durchgetestet. Einfach um zu zeigen, welche Bandbreite wir abbilden können mit diesen Gebäuden.

Die Erdgeschosszone auf Straßenniveau und im 1. OG, dem Niveau des Campus, ist öffentlich. Hier sind die Seminarräume, Vorlesungssäle, Restaurant, Café, Verwaltung und Funktionen öffentlicher Nutzungen, oben sind dann die Laborräume angeordnet. Dies sind die grünen Bereiche in dem Gebäude. Hier sieht man die Metamorphose eines Labors. Links oben, wie der Architekt es sich in seiner grenzenlosen Naivität vorstellt, rechts oben am Tag der Abnahme, links unten 14 Tage nach dem Einzug, rechts unten 3 Jahre später. Tatsächlich ist ein Laborgebäude zu 80% ein immens teurer Lagerschuppen, nichts anderes. Zu Beginn, wenn das Programm aufgestellt wird, will jeder immer alles haben, weil man davon ausgeht, ein Drittel wird sowieso rausgestrichen. Nur wurde hier nichts rausgestrichen. Aber es ist schön, wir sind dort gewesen, meine Frau und ich besuchen den Wissenschaftler noch regelmäßig, der ist jetzt um die 90, schafft da noch, hat ein Büro, wunderbar, er liebt das Haus, und Toronto ist eine tolle Stadt. Es hat mal jemand gesagt, Toronto wäre wie New York, aber von den Schweizern organisiert. Gerne sind wir dort, dieses Haus war eine großartige Erfahrung.

Harvard University's Allston Science Complex
Harvard Allston, eine andere Komödie der Irrungen, gewonnen durch einen großen internationalen Wettbewerb. Ein langer, mühsamer Prozess mit einem ersten, einem zweiten Interview, einer Short-List, und dann dem Wettbewerb mit noch weiteren 5 Büros. Und Konzepte entwickeln, Pläne fertigen, Wettbewerb-Konzept darstellen, ein Design-Wettbewerb, aber eher als Konzept und Vorgangsweise, dann nochmals ein Interview mit Präsentation des Erarbeiteten. Es wurden 2 Büros aussortiert, und alle anderen heimgeschickt mit neuen Hausaufgaben. Nächstes Interview. Zum letzten Interview waren noch zwei Büros übrig, man fragte sich, weshalb das Verfahren so weit getrieben werden musste. Das Preisgericht war groß, jedoch auch hochkarätig besetzt, da war Penny Pritzker, Lawrence Summers, der Präsident der Uni, der sog. Provost sowie Architekten- und Architekturkritiker.

Entscheidend wurde am Schluss die Frage, wie das Haus wohl aussähe. Eine kritische Frage für uns, da wir keinesfalls hier eine verbindliche Aussage machen wollten. Harvard hat letztendlich kaum architektonisch gute Gebäude, wenn man von Corbusiers Carpenter Center oder einigen Sert Gebäuden einmal absieht. Harvard hat an sich eine sehr konservative Einstellung zur Architektur. Und der neue Campus wird besonders kritisch betrachtet, denn daneben ist die Harvard Business School, alles Backstein und Efeu. Ein ganz romantisches Bild ihrer Universität ist prägend, das nichts mit der Realität zu tun hat. Ich habe mich um Aussagen zu den Fassaden gedrückt. Und so haben wir den Wettbewerb dann gewonnen. In der entscheidenden Präsentation ist man dann allein im Interview, wie ein Vortrag, und muss innerhalb knapp zwei Stunden versuchen zu erklären, wie das Haus funktionieren und aussehen wird und vor allem weshalb.

Und man will sich ja nicht festlegen, also haben wir viele verschiedene Fassaden vorgeschlagen und entwickelt, erläutert welche Fassade nun welchen Vorteil, welchen Nachteil hat, wie welche arbeitet, welche Wirkung sie erzielt und dadurch die allgemeine Verwirrung und Unsicherheit noch verstärkt. Aber andererseits konnten wir so vermitteln, dass es eben keine reine Frage des Gefallens oder Nichtgefallens ist. Die Amerikaner sind sehr höflich und nett. Sie haben sich das ganz ruhig angehört und nach über einer Stunde, als ich fertig war und dachte, jetzt habe ich sie vollends verwirrt, jetzt ist es in Ordnung, sagte der Dean der Business School: „Okay, klingt alles gut, aber wie sieht die Fassade jetzt eigentlich aus?“ Nach einer eher unhöflichen Reaktion meinerseits dachte ich, nun ist es vorbei, wir sind draußen. Später einmal sagte mir der Präsident, unsere Architektur würde ihm eigentlich nicht gefallen, aber er hätte uns genommen, weil wir die einzigen waren, die sich den Vertretern der Fakultäten gegenüber stur durchgesetzt haben, eben nicht bereit waren das Erwartete zu sagen. Denn Harvard sind die United Colleges of Harvard, da sind die Fakultäten mächtiger als der Präsident, die können den absetzen. Es ist ein hochdemokratischer aber auch sturer Prozess. Hier sind die Gebäude von Harvard, südlich des Flusses ist Boston, nördlich des Flusses ist Cambridge – südlich ist die Business School. Harvard hat heimlich den ganzen südlichen Bereich, ein großes Gelände aufgekauft um den Campus erweitern zu können.

Architektonisch oder als Campus ist Harvard nicht zu fassen. Wenn wir über Harvard nachdenken, sehen wir doch das: den Harvard Yard. Harvard ist zuerst einmal eine fantastische Universität, aber architektonisch keine Einheit, sondern eher die Räume zwischen den Gebäuden sind das Entscheidende – städtisch und grün. Weshalb ich das so ausführe ist, weil Harvard ganz bewusst schon im Wettbewerb über Branding gesprochen hat, es wurde erwartet, dass das neue Gebäude ein Meilenstein im Branding von Harvard wird. Das war die Grundlage des Wettbewerbs, das war das erste Projekt, das waren vier Life Sciences-Gebäude.

Wir haben dann daran gearbeitet und hatten die Untergeschosse gebaut. Sie sehen es, 45.000 qm unterirdisch. Dann kam die Finanzkrise und das Projekt wurde eingestellt. Letztes Jahr wurden wir für ein neues Programm, eine School of Engineering auf den existierenden Untergeschossen beauftragt. Und das Programm war weiter gewachsen. Und die Diskussionen gingen von vorne los, da alle Beteiligten auf Bauherren-Seite neu waren. Wir mussten über Größe, Charakter, Fassaden, Maßstab, eben alles was, Jahre vorher schon diskutiert worden war, nochmals sprechen. Denn das Gebäude ist groß, die Straßenfront entspricht dem Block in einer amerikanischen Großstadt. Wenn wir also ein so großes Gebäude planen, wie können wir es brechen, wie können wir es kleiner erscheinen lassen, wie können wir ein Untergeschoss aktivieren, was früher nur Technik war, wie können wir das animieren, dass Oben und Unten zusammen funktionieren, dass wir da Funktionen unterbringen können, aber man nicht das Gefühl hat, unter der Erde zu sein.

In den sogenannten Gartengeschossen, dem Erdgeschoss und dem ersten OG sind die öffentlichen Bereiche, die Lehrbereiche, aber auch Bibliothek, Cafeteria etc untergebracht. Entsprechend frei entwickeln sich die Grundrisse. In den darüber liegenden Geschossen, die rationaler erscheinen, orthogonaler sind, haben wir die Forschungsbereiche angeordnet. Ein übergeordnetes Ziel war es, interdisziplinären Austausch, eine interdisziplinare Diskussion zu fördern. Ein hochkommunikatives Gebäude soll entstehen. Dies leisten die großen und kleinen Atrien, die Hallen, die Verbindungen zwischen den Bereichen, im Vertikalen aber auch im Horizontalen.

Die Fassaden sind unterschiedlich ausgebildet. Zum Garten hin offener. Sie sind terrassiert, mit Dachüberhängen und Lightshelves nach Süden, Osten, Westen in den Lehrbereichen. Hier erstreckt sich diese terrassierte Fassade auch nach Norden zur Western Avenue. In den oberen Bereichen, denen der Forschung, wird die Fassade rationaler. Sie hat eine Zweite Schicht, die je nach Himmelsrichtung individuell so ausgebildet ist, dass sie die direkte Sonne abhält, jedoch das indirekte Licht in die Tiefe reflektiert. Dadurch entsteht ein interessanter Screen, der die School of Engineering angemessen repräsentiert. Mit Bartenbach und TransSolar haben wir diese Prinzipien entwickelt und verfeinert. Es entstehen dreidimensionale tiefe Fassaden, die das über eine ganz spezielle Ausformung je nach Tageslichtrichtung gewährleisten.

Wir arbeiten jetzt am Entwurf, es geht relativ langsam vorwärts, aber es ist ein großes, auch wichtiges Gebäude für uns alle. Wir arbeiten hier in den USA in einer Art und Weise, wie wir sie in Deutschland selten umsetzten können. Wir Architekten sind hier schon ganz von Anfang dabei, wir machen die Programmier-Phase mit den Nutzern und können dadurch die Gebäude von Beginn an optimieren.

World Intellectual Property Organization (WIPO) Genf
Ganz am Ende will ich Ihnen noch ganz kurz einen Campus zeigen und auch hier ging es um Identität. Wir haben für Banken gearbeitet und für die Autoindustrie. Das sind ja die Meister der unflexiblen Corporate Identity. Sie schreiben in der Regel ein Manual fest, wie alles genau aussehen soll. Und in der Regel, wenn das Manual fertig geschrieben ist, sind die Farben veraltet. Und alles war ja von Beginn an nicht nach den Kriterien des Frischen, Guten, Interessanten entwickelt worden, sondern nach denen des Verwaltungstechnischen. Das zumindest ist meine persönliche Erfahrung.

Hier reden wir jetzt über die WIPO - World Intellectual Property Organization, das ist eine UNO-Organisation, die weltweit für alle Urheberrechte und für den Markenschutz verantwortlich ist. Was für eine Identität könnten sie haben? Das Blau der UNO – klar, das haben sie alle, aber darin erschöpft es sich.

Wir hatten einen Wettbewerb gewonnen für das Verwaltungsgebäude. Unter dem alten Regime des damaligen Generalsekretärs der WIPO waren wir beauftragt für das Verwaltungsgebäude, das wir dann auch planten. Anschließend wurden wir beauftragt, einen Konferenzsaal für ca. 800 Zuschauer und ein Gebäude für den Sicherheitszugang zu planen. Unglücklicherweise war das einzig verfügbare Grundstück eben genau in jenem Bereich, in dem wir im Vorjahr gerade die Tiefgarage fertig gestellt hatten. So entschieden wir uns, auch aus diesem Grund, eine leichte Holzkonstruktion zu planen. Die Konstruktion, die Innenverkleidung, die Außenverkleidung, alles in Holz. Eine selbstragende Kiste, die immerhin 40 Meter auskragen kann, das kann man nur in Holz leisten.

Der Saal im Innern und alles was damit direkt in Verbindung steht ist in Holz ausgeführt. Die Foyers, die auf dem Erdreich auch unter dem Saal liegen, sind steinern, die oberen Foyers und die Zugangstreppen sind in Stahl. Hier ist der Zugang zum Saal innen und hier komme ich in den Saal nach oben. Wir hatten auch hier großes Glück, wir konnten alles selber entwerfen und entwickeln. Was Sie da oben sehen, sind über 2 Meter große Kugeln aus Edelstahl, alle Elemente LED-beleuchtet, in denen Technik versteckt ist

Die Stühle haben wir mit Poltrona Frau entwickelt und die Tische mit VS. Es gab einen Grund für diese neuen Entwicklungen: wir machen hin und wieder Möbel, aber nicht weil wir gute Möbeldesigner sind, sondern weil die Möbel uns manchmal helfen, einfach eine bestimmte Aufgabe in einem Gebäude zu lösen. Hier hatten wir ein Platzproblem, eigentlich konnten wir nur 830 Zuschauer unterbringen. Durch die Neuentwicklungen gelang es uns, in der Konstruktion zu sparen, eine Reihe mehr im Saal unter zu bringen und somit fast 90 Sitze mehr zu erhalten.

Ich habe in der vergangenen Stunde versucht, etwas anhand der Projekte zu erläutern. Wir Architekten können es fast nur an Projekten erläutern, zumindest wenn wir es interessant halten wollen. Sie haben erkennen können, dass für uns die Diskussion der architektonischen Identität eher im Ausland als in Deutschland läuft. Wenn wir für deutsche Universitäten bauen, sind es sehr stark zweckgebundene Bauten. Die Diskussion des Images oder der Identität wird überhaupt nicht geführt, die wichtigste Vorgabe ist in der Regel Passivhausstandard oder ähnlich Aufregendes. Die deutsche öffentliche Hand, die deutschen Hochschulen täten gut daran, sich Gedanken zu machen, nicht nur über die Funktionalität der Gebäude und ob es Passivhausstandard ist oder nicht, sondern auch darüber, wie sie nach außen in Erscheinung treten möchten. Was kann junge Menschen dazu motivieren, hier zu studieren? Ich vermute Wien hat das Problem weniger, weil es hier einfach die Stadt ist, München wahrscheinlich auch weniger. Aber sobald wir über kleinere Städte reden oder auch weniger renommierte Hochschulen, entsteht ein Wettbewerb, und ich meine, dass die Architektur doch ein gutes und adäquates Mittel sein könnte, um in diesem Wettbewerb zu bestehen. Für uns Architekten ist es eine gute Diskussion, sie fügt weitere Aspekte hinzu, die uns auch in der Architektur weiterbringen und die Architektur zusätzlich informieren.