Modern Learning Landscapes

Interview with Stefan Behnisch

1/ Schulen sind für Architekten eine besondere Herausforderung. Sie stellen sich dieser in besonderem Maße. Was ist für Sie ein guter Schulbau und wie lässt sich dieser realisieren?
Generell ist die Unterscheidung in „gute“ oder „nicht gute“ Architektur nicht ganz einfach. Im Schulbau bedeutet dies eine besondere Herausforderung, denn es gibt sehr viele verschiedene Arten von Schulen, u.a. öffentliche, die private und konfessionell gebundene Schulen. Und viele haben auch eine spezielle Pädagogik oder Philosophie. In Bayern wird in letzter Zeit sehr viel über das Lernhaus gesprochen, ein Cluster Konzept, das es schon bei einigen der frühen Hertzberger-Schulen gab, z.B. bei der Montessori Schule in Delft.
Eine Herausforderung bei der Planung von Schulen sind heute Regeln und Bestimmungen, die letztendlich nichts mit einer Schule zu tun haben. Die Passivhaus-Richtlinien z.B. geben keine Ziele vor sondern schreiben eine Methode fest. Insofern kämpfen wir Architekten oft mit Problemen, die nicht die Eignung als gutes oder schlechtes Schulhaus beeinflussen.
Ein guter Schulbau wird letztendlich ein solcher sein, der sich an Schüler/innen und Lehrer/innen orientiert, der auf Lehren, Lernen, Erziehung, Bildung ausgerichtet ist und kulturelle Werte vermittelt. Er kann allen die Gewissheit mit auf den Weg geben, dass das Haus eben doch einen Unterschied macht und nicht nur im funktionalen, sondern auch im kulturellen Sinne eine Bedeutung hat.

2/ Ihr Büro ist jüngst beauftragt für millionenschwere Neubau-Großprojekte wie die Hamburger Stadtteilschule Lurup oder die Mittelschule Gersthofen in Bayern. Was ist Ihr Erfolgsrezept und welche Ansprüche setzen Sie an die Planung?
Es ist sicherlich nicht ganz richtig, von Erfolgsrezepten zu sprechen. Wir sind ein Wettbewerbsbüro, und in den letzten Jahren sind Bauten für die Bildung wieder vermehrt gefordert worden. Nach langer Vernachlässigung wurde entdeckt, wie wichtig sie für die kommenden Generationen sein werden. Es werden mehr Wettbewerbe ausgelobt, und so haben wir uns häufiger an diesen Aufgaben beteiligt. Wenn man eine Art Erfolgsrezept erkennen möchte, so kann es nur sein, dass wir immer dann in Wettbewerben erfolgreich sind, wenn wir das tun was wir am besten können, wenn wir uns eben nicht verbiegen, wenn wir eben nicht darauf spekulieren, was erwartet werden könnte.
Nachdem es in den fünfziger und sechziger Jahren viele Schulen mit einen hohen Vorfertigungsgrad gab, hatte sich ab den späten sechziger Jahren ein viel freierer Formenkanon entwickelt. Und nun erleben wir in den letzten 15-20 Jahren wieder eine Renaissance des Strengen, Systematischen, Rationalen, eine an Systeme gebundene Architektur. Dies ist nicht unser Weg. Wir glauben an eine Architektur, die den Menschen, bei Schulen vor allem die Entwicklung der Jugend in den Vordergrund stellt und nicht die Ökonomisierung von Bauprozessen. Insofern haben wir uns bei unseren neueren Entwürfen für die Schulen in Gersthofen, Lurup und Frankfurt, aber auch für die Waldorfschule in Stuttgart hingewendet zu einer Architektur, die sich orientiert an der Situation, am Ort und an den Menschen.

3/ Bereits in Betrieb ist das Gymnasium Ergolding, hier haben Sie die so genannten Lernlandschaften realisiert. Was ist das Besonderes dieses Schulbaus, und inwiefern unterstützt Ihre Architektur die pädagogische Arbeit?
Das Gymnasium Ergolding hat in einigen Bereichen einer Lernlandschaft ähnliche Situationen. Zwischen den Klassen befinden sich Räume für die gemeinsame Nutzung. Sie sind also nicht einfach nur aufgereiht, sondern dort „eingestreut“, wo durch die Gebäudegeometrie besondere Situationen entstehen. Im Gegensatz zu sonst üblichen Verfahren auf der Grundlage eines Wettbewerbsergebnisses gab es hier auf der Basis eines VOF bei der Auftragsvergabe noch keinen Entwurf. Sogar das Grundstück hatte sich noch geändert. So konnten wir gemeinsam mit der Schulleitung und einigen Lehrer/innen die architektonische Aufgabe und die pädagogischen Vorstellungen der Schule in enger Abstimmung diskutieren und dann Lösungsansätze entwickeln. Die große Eingangshalle ist das Zentrum des Gymnasiums, hier finden gemeinsame Schulveranstaltungen statt, es kann musiziert oder sogar Sport getrieben werden. In den einzelnen Bereichen gibt es besondere Situationen wo man sich treffen und gemeinsam arbeiten kann.

4/ Ob Waldorfschule oder deutsch-französisches Gymnasium - auch wenn es darum geht, vorhandene Schulgebäude umzubauen oder zu erweitern, sind Ihre Entwürfe preisgekrönt. Wie sind Ihre Erfahrungen mit privaten Schulträgern, bauen diese anders?
Die Arbeit für private Schulträger ist geprägt von anderen Themen. Sicherlich gibt es auch große Schnittmengen, aber das hängt stark von der Lehrerschaft und weniger von der Art des Schulträgers ab. Wichtig ist es, ob öffentlich oder privat finanziert wird und dass hier bei der Nutzung öffentlicher Zuschüsse auch eine Bindung an die Richtlinien der Öffentlichen Hand besteht.
Bei einer Waldorf- oder einer Montessori-Schule stehen oft andere Aspekte im Vordergrund. Eine Waldorfschule zum Beispiel ist eine sogenannte Ersatzschule, d.h. sie erhält zu einem gewissen Maß öffentliche Zuschüsse, übernimmt dafür aber einen öffentlichen Bildungsauftrag. Sie hat eine andere Struktur, mehr Klassenzimmer, Fach-, Werk- und Kunsträume usw. Die Schwerpunkte der pädagogischen Arbeit sind anders gewichtet, und das Gebäude spielt eine sehr große Rolle. Die Architektur ist Teil eines Gesamtkonzeptes, eben nicht nur ein Zweckbau, sondern Teil des pädagogischen und künstlerischen Ausdruckes und integraler Bestandteil des Selbstverständnisses der Schule.

5/ Welchen Stellenwert messen Sie Bildungsbauten für die Zukunft unserer Städte bei?
Die Bildung wird in vielen Städten immer mehr zum wirtschaftlichen Faktor. Es geht heute nicht mehr um die (akademische) Ausbildung der Jugend, sondern Lehre und Forschung sind im universitären Bereich häufig mit der Wirtschaft verknüpft. Ausbildung wird immer mehr zum Standardkriterium für die Industrie, hauptsächlich in kreativen oder wissenschaftlichen Berufen. Vor allem die Universitäten in den USA stehen im harten Wettbewerb zueinander. Die einzelnen Städte treten mit ihren Hochschulen in bestimmten Schwerpunkten hervor. So wurde hier in den letzten Jahren auch die Architektur zu einem Identifikationsmerkmal. Das hat nicht immer bessere Architektur, sondern zum Teil spektakuläre Ergebnisse hervorgebracht. In Boston z.B. sind MIT und Harvard in ständiger Konkurrenz, beflügelt noch durch kleinere Universitäten wie die Boston University. Für die Universität in Baltimore haben wir eine juristische Fakultät geplant. Sie ist eine öffentliche Hochschule, gehört nicht zu den privilegierten Universitäten, ist jedoch die Alma Mater einiger später berühmt gewordene Richter. Der Präsident, Bob Bogomolny, hatte den Wert und die Bedeutung von Architektur für den Standort einer Universität erkannt. Er hatte einen internationalen Wettbewerb ausgelobt, an dem viele bekannte, auch europäische Büros teilgenommen haben. In enger Zusammenarbeit mit ihm gelang es uns, ein Gebäude zu realisieren, das in besonderem Sinne einmalig für diese Situation in Baltimore ist. In einigen Aspekten sehr europäisch und nachhaltig (LEED Platinum), ist das Gebäude im Inneren hochkommunikativ und wurde zum Aushängeschild für die Weltoffenheit der Universität und zum neuen Zentrum des Campus. Für die Universität Toronto haben wir in einer schwierigen Situation eine ähnliche Aufgabe, ein Laborgebäude realisiert. Bei beiden Gebäuden war ein zusätzlicher Aspekt die Möglichkeit, über die Besonderheit der Architektur zusätzliche Finanzierungsquellen vor allem über Spenden zu akquirieren, denn die öffentlichen Gelder sind nicht meistens ausreichend. Ein ähnlicher Gedanke steht auch beim Neubau für die Universität Harvard im Vordergrund, den wir seit mehreren Jahren planen. Der Komplex wird den Campus über den Fluss hinweg in Richtung Boston erweitern. Selbst bei uns in Deutschland stehen die Universitäten in ständigem Wettbewerb. Nur spielt hier leider die Architektur meistens eine untergeordnete Rolle. Man bemüht sich zwar, jedoch ist alles sehr engen Regularien und Richtlinien unterworfen, und besondere Leuchtturmprojekte scheinen in diesem Rahmen kaum umsetzbar. Es wäre wünschenswert, dass auch bei uns Architektur im Bildungsbereich die Rolle spielen würde, welche die Heranwachsenden als gebaute Umwelt verdient hätten.
Herzlichen Dank für das Gespräch.